„Die Welt muss friedenstüchtig werden!"

Rede des NaturFreunde-Bundesvorsitzenden Michael Müller beim Ostermarsch in Frankfurt/Main

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Zwischen dem 28. März und dem 1. April fanden wieder die traditionellen Ostermärsche statt, die unter dem Eindruck des anhaltenden völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine sowie des Gaza-Kriegs standen. In rund 100 Städten gingen Tausende von Menschen auf die Straße und setzten so ein wichtiges Zeichen für einen Politikwechsel hin zu Frieden und Abrüstung.

Die NaturFreunde sind traditionell Teil der Ostermarsch-Bewegung. Wie die hessische Naturfreundejugend zum Startmotor der Ostermärsche wurde, kannst du hier nachlesen. Während der diesjährigen Ostermärsche hielt unter anderem der NaturFreunde-Bundesvorsitzende Michael Müller eine Rede beim Ostermarsch in Frankfurt/Main am 1. April, die hier dokumentiert wird:

Frieden stiften – Kriege beenden

Es freut mich, dass ihr alle zum Ostermarsch auf den Frankfurter Römerberg gekommen seid. Noch mehr haben gestern Abend die Berichte gegeben, dass es in Israel machtvolle Demonstrationen gegeben hat: gegen das Regime von Netanjahu und für Neuwahlen, für die Freilassung der Geiseln und eine Friedenslösung in Gaza.

Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner kritisierte vor mehr als hundert Jahren den Militarismus und die Kriegstreiber: Sie haben „Ohren und hören nicht“. Sie haben „Augen und sehen nicht“. Sie haben „ein Gehirn und denken nicht!“ Das gilt auch heute! Kriege sind immer falsch und menschenverachtend, alle 22 Kriege und 216 militärischen Auseinandersetzungen, die heute gezählt werden, natürlich auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die gnadenlose Bombardierung des Gaza-Streifens.  Kriege sind der Gipfel der Unmoral, das Ende jeder menschlichen Kultur.

Wir sind auch hier, weil wir ein wichtiges Gegengewicht sind. Denn im Mainstream der Öffentlichen, vor allem der veröffentlichten Meinung herrscht ein erdrückender Konformismus vor, genauer ein Kriegskonformismus. Schon Walter Benjamin hatte davor gewarnt, dass dieser Konformismus das Notwendige verhindert. Das gilt auch heute. Frieden braucht Verständigung, Vernunft und die Bereitschaft zur Kooperation.

Falken haben Dauerpräsenz in Talkshows

Was für ein Armutszeugnis, dass im Jahr 2022, dem ersten Jahr des Ukraine-Krieges, über 90 Prozent der Teilnehmer an Gesprächsrunden und Interviews im Fernsehen eine militärorientierte, auf massive Aufrüstung ausgerichtete Meinung vertreten haben? Das ist ein Angriff auf das Wichtigste in der Demokratie, auf den kritischen Diskurs, wenn militärische Falken wie Frau Strack-Zimmermann, Toni Hofreiter, Michael Roth oder Manfred Weber eine Dauerpräsenz in den Talkshows haben, während Vertreter der Friedensbewegung gar nicht eingeladen werden oder bestenfalls als Feigenblatt? Was ist das für eine Frechheit, wenn Alexander Graf Lambsdorff die Friedensbewegung „als 5. Kolonne Moskaus“ diffamiert!

Es ist blanker Militarismus und geschichtsloses Denken, wenn der CDU-Verteidigungsexperte, richtiger wäre Angriffsexperte, Roderich Kiesewetter fordert, den Krieg nach Russland zu tragen. Herr Kiesewetter, Sie gehören raus aus dem Bundestag. In unserer Verfassung steht das Wort „Verteidigung“, nicht das Wort „Krieg“.

Und was ist das für eine Außenministerin Annalena Baerbock, bei der man jeden Tag Angst hat, dass sie neuen Schaden anrichtet, weil sie von Diplomatie nichts wissen will?

Wir sagen Nein zu den abenteuerlichen Ankündigungen des französischen Staatspräsidenten Macron und des kanadischen Regierungschefs Trudeau, Nato-Truppen in die Ukraine zu entsenden.

Und was sind das für „Denkfabriken“, die Friedensinitiativen, selbst wenn sie vom Papst kommen, kritisieren und verurteilen? Was sind das für „Sicherheitsberater“, die ein „Wehr- und Kriegsbewusstsein“ abverlangen und eine „Neue Konfliktordnung“ ausrufen, in der wir uns künftig ständig „im“ und gerade „noch nicht“ im Krieg befinden werden? Wir wollen keine „Kriegswissenschaftler“, wir wollen Friedenswissenschaftler. Die Welt muss „friedenstüchtig“ werden!

Was wir brauchen ist, um es mit Immanuel Kant zu sagen, „Mut zur Mündigkeit“. Es geht um Aufklärung, Wahrheitssuche und Verständigung. Andernfalls werden Worte zu Waffen. Deshalb sagen wir Nein zum „Kriegskonformismus“.

Fünf Gründe für eine Politik der Gemeinsamen Sicherheit

Rolf Mützenich hat recht, dass wir Wege zum Frieden suchen müssen. Ja, wir brauchen ein „Einfrieren“, vor allem ein Einfrieren der Dummheit.

Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI beschreibt unser Jahrzehnt als das gefährlichste seit der Kuba-Krise von 1962, als die Welt am Rande des Atomkrieges stand. Die Antwort darauf war damals die Entspannungspolitik. Ihr Begründer war John F. Kennedy. Heute gibt es keinen ernsthaften Grund, sich von der Entspannungspolitik zu distanzieren. Im Gegenteil. Wir brauchen mehr davon. Wir brauchen eine Politik der Gemeinsamen Sicherheit. Ich nenne dafür fünf Gründe:

  1. Der wichtigste ist: Das Töten, das Morden, das Elend und die Zerstörung müssen gestoppt werden. Wir brauchen einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Es darf keinen Krieg bis zur Erschöpfung geben. Das Ausbluten muss gestoppt werden – in der Ukraine wie im Gaza-Streifen. Wir haben bereits mindestens 500.000 Tote oder Schwerstverletzte im Ukraine Krieg zu beklagen. Im Gaza-Streifen droht eine menschliche Katastrophe, dort verhungern die Menschen.

    Kriege treffen – wie immer – besonders arme Menschen. Vor allem in der Ukraine, aber auch bei den russischen Soldaten, die überwiegend aus Regionen kommen, in denen das Durchschnittseinkommen bei 200 Euro im Monat liegt. Weltweit leiden nach UN-Angaben 1,6 Millionen Menschen an der Energie- und Nahrungsmittelkrise als Folge des Krieges.

  2. Wir müssen die Aufrüstung stoppen. Die Militärausgaben liegen heute weltweit höher als in den Zeiten des Kalten Krieges. Dass auf nur 10 Staaten der Welt 75 Prozent der Militärausgeben fallen, ist eine Perversion. Deutschland liegt auf Platz 6 und droht zur Macht mit den höchsten Ausgaben in Europa zu werden. Wer hat das gewollt? Wir brauchen die Sprache des Friedens und nicht die „Sprache der Macht“, die EU-Außenminister Josep Borrell fordert.
     
  3. Quantitativ wie qualitativ wächst die Gefahr der Atomwaffen. Russland und die USA verfügen über 11.133 Atombomben. Nur die USA allein haben im Jahr 2022 fast 45 Milliarden Dollar in neue Atomwaffen gesteckt, auch in Mini-Nukes, die die Schwelle eines Einsatzes senken würden. Wir fordern einen konsequenten Verbots- und Sperrvertrag.

    Wir sagen nein zu „europäischen Atombomben“.

  4. Unsere zusammengewachsene Welt braucht Gemeinsame Sicherheit und Nachhaltigkeit, denn beides gehört zusammen. Dabei brauchen wir auch die Zusammenarbeit mit Russland und China. Wie sollen die globalen Krisen bewältigt werden, wenn das größte und das bevölkerungsreichste Land nicht dabei sind?
     
  5. Wir brauchen Frieden mit Mensch und mit Natur. Andernfalls droht die doppelte Gefahr der Selbstvernichtung – sowohl durch Kriege als auch durch die Erderwärmung. Im letzten Jahr wurde eine globale Aufheizung um 1,5 Grad gemessen. Der erste kritische Punkt ist erreicht, im Januar 2024 waren es sogar schon 1,66 Grad mehr.

    Wir sagen nein zu der Dummheit, die Welt aufzurüsten, aber bei der Bekämpfung der Armut und der Klimakrise zu versagen. Damit wächst die Gefahr, dass der reiche Teil der Menschheit sich in grünen Oasen des Wohlstands vom Rest der Welt abzuschotten versucht. Das riecht nach erbitterten Verteilungskämpfen und Krieg. Die richtige Zeitenwende muss heißen: Die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation.

Die Waffen nieder!

Zurück zu Bertha von Suttner: Ein Ölbrand kann nicht mit Öl gelöscht werden. Unsere Welt braucht eine Kultur des Friedens. Wer immer Waffen fordert, verfällt der Logik des Krieges. Die Waffen nieder!

Wir wollen, dass unser Land Vorreiter für eine Friedenslösung und Gemeinsame Sicherheit wird – weltweit. Das sind wir unserer und auch der europäischen Geschichte zutiefst schuldig.

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